Interview mit Martina Hoffstedt
Ehrenamtliches Engagement ist in der Flüchtlingssozialarbeit nicht mehr wegzudenken. Frau Maren Huschka vom Diakonischen Werk evangelischer Kirchen in Niedersachsen sprach mit unserer Ehrenamtskoordinatorin Martina Hoffstedt über ihre Arbeit und die Herausforderungen für das Ehrenamt in der Coronakrise.
Maren Huschka (Diakonisches Werk evangelischer Kirchen in Niedersachsen):
Liebe Frau Hoffstedt, Ihre Erfahrungen speisen sich aus Ihren beruflichen Tätigkeiten in Bremen 2015 und Rotenburg (Wümme) seit 2018. Welchen Aufgaben haben Sie sich gewidmet?
Martina Hoffstedt:
In Bremen war ich von 2015-2017 in der Notaufnahmeeinrichtung beschäftigt, wo Platz für 200 Menschen war, und im Anschluss in einem der Übergangswohnheime der AWO. Die Menschen lebten teilweise 1 bis 1½ Jahre im Heim, waren überwiegend traumatisiert und redeten in unterschiedlichen Sprachen. Damals gab es auch noch nicht die Sprachkurse oder andere Angebote, um sich zu beschäftigen und die Sprache zu lernen. Daher brauchten wir Aktionen und Projekte, um eine Alltagsstruktur zu schaffen. Wir boten Sprachkurse mit pensionierten Lehrerinnen und Lehrern an, parallel eine Kindergruppe, um die deutsche Sprache zu vermitteln. Das war manchmal sehr mühsam, da in einem Raum unterschiedliche Nationalitäten und Bildungsniveaus versammelt waren. Zudem gab es öfters mal Zündstoff, wenn unterschiedliche Wertevorstellungen, politische Überzeugungen und Religionen aufeinandertrafen. Es gab auch noch keine organisierten Sprachmittlerpools, sodass die Verständigung schwierig war. Es gab auch viele Ehrenamtliche, welche unterstützen wollten, aber keine Erfahrungen hatten. Die Menschen über Möglichkeiten und Grenzen eines Engagements zu beraten und sie zu koordinieren, ohne sie zu vergrämen, war eine große Herausforderung.
Maren Huschka (Diakonisches Werk evangelischer Kirchen in Niedersachsen):
Was war denn Ihre Motivation, Projekte zu entwickeln und Ehrenamtliche zu begleiten?
Martina Hoffstedt:
Früher wie heute bewegen mich die einzelnen Schicksale sehr. Durch die Flucht sind die Menschen entwurzelt, erleben sich fremd in der neuen Heimat und fühlen sich durch fehlende Kenntnisse sprachlos. Ich bin überzeugt, dass eine Willkommenskultur das Ankommen erleichtert, wenn Unterstützung und Orientierung geleistet werden. Ich sehe es daher als meine Aufgabe, den Rahmen für ehrenamtliches Engagement zu geben und strukturell gute Bedingungen für Engagement zu schaffen. Dabei ist es mir wichtig, partizipativ mit ehrenamtlich Engagierten die Ideen zu entwickeln, Inhalte zu bestimmen und Einsatzorte zu definieren. Auf persönlicher Ebene möchte ich zur Seite stehen, wenn es mal nicht gut läuft, und Wertschätzung schenken.
Beispielsweise haben wir mit Ehrenamtlichen einen Frauennachmittag organisiert, womit wir sogar Frauen erreichen konnten, die sonst an keinen Projekten und Maßnahmen teilgenommen hatten. Jede Frau konnte traditionelle Musik aus ihrer Heimat vorstellen, es wurde gemeinsam getanzt und gesprochen. Dadurch konnten eigene Ressentiments überwunden werden und Mitgefühl für die Situation anderer Frauen entwickelt werden. Die Erinnerung an den Nachmittag berühren mich immer noch. Es hat gezeigt, dass für ein friedvolles Zusammenleben gemeinsame Gespräche, gemeinsame Erfahrungen und Erlebnisse ungemein helfen.
Maren Huschka (Diakonisches Werk evangelischer Kirchen in Niedersachsen):
Wenn Sie als Koordinatorin früher und heute vergleichen, was ist das Besondere an der Beziehung zwischen ehrenamtlich Engagierten und Menschen mit Fluchtgeschichte?
Martina Hoffstedt:
Häufig erlebe ich es, als ob zwei Welten zu Beginn aufeinandertreffen. Gerade zu Beginn wurden viele Erfahrungen gesammelt und wir sind am Tun gereift. Die Unterschiede sind zuerst sehr präsent, sodass es wichtig ist, eine gemeinsame Grundlage, wie zum Beispiel das Kochen als Beschäftigung, zu finden. Dies musste sich aber erst entwickeln, da zu Beginn viel Hilfe in der Not gefordert war. Es ging erstmal um grundlegende Bedürfnisse. Damals war es nicht absehbar, wie lang eine Unterstützung notwendig ist. Heute sind viele Engagierte beständig dabei, auch wenn sich die Aufgaben verändert haben.
Im Zusammenspiel zwischen Engagierten und Geflüchteten ist für mich auffallend, dass es wie bei einer Achterbahnfahrt mal hoch und runtergeht. Ein langer Atem, Umsicht und Empathie sind ebenso wie eine starke intrinsische Motivation die Grundpfeiler im ehrenamtlichen Engagement. Über die Zeit hinweg betrachte ich es als eine Art Emanzipation der Geflüchteten aus der Rolle des Hilfe-Empfängers, sich anzufreunden, an Selbstständigkeit zu gewinnen oder sogar selbst ehrenamtlich zu engagieren. Dass Freundschaften untereinander entstanden sind und einige Geflüchtete mit einheimischen Ehrenamtlichen Projekte starten, zeigt deutlich, dass Integration funktioniert.
Maren Huschka (Diakonisches Werk evangelischer Kirchen in Niedersachsen):
Zurzeit ist die Corona-Pandemie in aller Munde, viele Angebote können nicht stattfinden. Wie gehen Sie beruflich damit um?
Martina Hoffstedt:
Seit dem Shut-Down können leider keine Gruppentreffen und Projekte stattfinden. Zu Beginn war ich selbst etwas hilflos, suchte viel nach Informationen und verteilte diese. Daraus erwuchsen dann persönliche Besuche. Wir setzen uns in den Garten, natürlich mit genügend Abstand, und sprechen über die eigene Tätigkeit und manch Privates. Es ist eine gute Zeit, um Beziehungen zu intensivieren. Ich kann viel mehr da sein, sodass trotz der körperlichen Distanz eine engere Verbundenheit entsteht. Wenn Gruppentreffen wieder möglich sind, wird es ein Arbeitstreffen mit den Ehrenamtlichen geben. Es ist wichtig zu besprechen, was gut ist und gebraucht wird. Gleichzeitig stellt sich auch die Frage, welche Projekte in der Zukunft noch wichtig sind und welche Unterstützung gebraucht wird. Auch nach vier Jahren ist die Integration nicht abgeschlossen, die Themen haben sich eher spezialisiert. Beispielsweise werden geflüchtete Kinder nicht eingeschult, da die Schulreife fehlt. Das hat unter Anderem etwas mit dem Familienleben zu tun. Möglicherweise hat die Förderung des Kindes nicht denselben Stellenwert oder die Eltern wissen schlichtweg nicht, wie. Dann ist es wichtig, die Eltern darin zu bestärken, sich ihren Kindern zu widmen und es für eine Einschulung vorzubereiten. Gleichzeitig gibt es Fragen und Hürden bei der Aufnahme einer Arbeit oder Ausbildung. Es ist sehr wichtig, gemeinsam zukünftiges Engagement abzustimmen, da neue Themen auch die Ehrenamtlichen in ihren Fähigkeiten neu fordern können.